Edward M. Kennedy ist vor nicht ganz fünf Monaten gestorben, aber wenn man die politische Entwicklung betrachtet, könnte er genauso gut schon Jahrzehnte tot sein. 47 Jahre lang hat er Massachusetts im U.S. Senat repräsentiert; in seinem Heimatstaat hatte niemand größeren Einfluss, warf niemand einen längeren Schatten als er. Bis vor wenigen Wochen galt es als sicher, dass das Rennen um seinen Sitz im Senat durch sein Vermächtnis geprägt würde.
Aber der Wahlkampf ist ganz anders verlaufen. Während die für Dienstag anberaumte Nachwahl (special election) unaufhaltsam näher rückt, zeigt sich, dass as Wahlvolk von Massachusetts nicht von der Erinnerung an Edward Kennedy oder der Wertschätzung für seine Familie motiviert werden. Ganz im Gegenteil. Anstatt das, was Kennedy den Sinn seines Lebens genannt hat, nämlich die Krankenversicherung für alle, zu befürworten und voranzutreiben, engagieren sich hunderttausende von Wählern für einen Kandidaten, der verspricht, die Gesundheitsreform zu Fall zu bringen.
Zum ersten Mal seit zwei Generationen ist der Ausgang der Senatswahl in Massachusetts keine ausgemachte Sache. Was auch immer am Dienstag geschehen mag, eines ist sicher: Die Demokratin Martha Coakley wird nicht einfach im Vorbeigehen gewinnen, und der Republikaner Scott Brown wird nicht das Opferlamm spielen. Etliche der bekanntesten politischen Beobachter der USA halten den Ausgang der Wahl für völlig offen, während jüngste Umfragen Brown mit 50 zu 46 Prozent der Befragtenstimmen in Front sehen.
Was ist da nur schief gelaufen? Massachusetts ist der demokratischste Staat überhaupt – ein Staat ohne einen einzigen Republikaner im Senat oder in einem staatenweiten Amt, ein Staat, in dem Obama einen Erdrutschsieg erringen konnte. Wie kann da das Rennen um den Sitz im Senat so eng sein, dass sich keine sicheren Voraussagen machen lassen?
Ein Teil der Antwort ist natürlich, dass Scott Brown sich als einnehmender und unermüdlicher Kandidat erwiesen hat, während der Wahlkampf von Frau Coakley von Fehlern und Missgeschicken geprägt war. Ihre in einer Fernsehdebatte aufgestellte Behauptung, die Terroristen in Afghanistan wären „nicht mehr dort“ zeugt von außen- und sicherheitspolitischer Naivität, während ihre missmutige Antwort auf die Frage, warum sie so eine passive Kandidatin sei – „Soll ich etwa in der Kälte herumstehen und Hände schütteln?“ –, sie höhnisch und elitär erscheinen ließ.
Aber im Endeffekt geht es bei der Wahl in Massachusetts nicht um Browns persönlichen Charme oder um Coakleys Fehler bei öffentlichen Auftritten. Es geht um viel mehr. Das Rennen um den sitz im Senat ist ein Referendum über Barack Obama und die Übermacht der Demokraten in Washington.
Als Barack Obama vor ziemlich genau einem Jahr ins Amt eingeführt wurde, feierten ihn viele seiner Unterstützer als Messias, der die amerikanische Politik verändern und eine neue Ära der Hoffnung und des Wohlwollen einläuten würde. Noch nie wurde eine Administration mit so viel Enthusiasmus begrüßt. „Obama ist größer als das Land, größer als die Welt“, jubelte Evan Thomas von Newsweek. „Er ist so etwas wie ein Gott.“
Was Obama und seine Parteifreunde in der Folge leisteten, war alles andere als mitreißend.
Billionen Dollar an Neuverschuldung. Abstimmungen streng nach Parteilinie über 2000 Seiten umfassende Gesetzesvorlagen. Dubiose Geldflüsse und für politische Gefälligkeiten. Ständigen Behauptungen, man habe Millionen von Jobs „geschaffen oder erhalten“, auch noch zu einem Zeitpunkt, da die Arbeitslosigkeit schon die 10%-Marke überschritten hatte und Millionen amerikanischer Jobs auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren.
Aber das schlimmste war der Versuch, eine radikale Gesundheitsreform durchzudrücken, die die kosten für die Krankenversicherung enorm in die Höhe treiben, Medicare um 500 Milliarden $ kürzen und ein Siebentel der amerikanischen Wirtschaft dem Management durch die Behörden unterstellen würde. (Das ist zumindest die in der amerikanischen Öffentlichkeit weit verbreitete Meinung, die Obama seit Monaten das innenpolitische Leben schwer macht.)
Je beharrlicher die Demokraten in Washington ObamaCare gepusht haben, desto unbeliebter ist die Reform geworden – und desto mehr sind die Beliebtheitswerte des Präsidenten gesunken. In einer letzte Woche veröffentlichen Umfrage von CNN bezeichneten 48% der Befragten Obamas bisherige Präsidentschaft als Misserfolg, während sie nur noch 47% für erfolgreich halten. Einer Umfrage von CBS News zufolge erteilen nur noch 46% der Befragten der Amtsführung des Präsidenten ihre Zustimmung – seine schlechteste Bewertung bisher und ein Rückgang um 22% seit April. Seine wichtigste Agenda – die Reform des Gesundheitssystems – unterstützen lediglich 36% der Bevölkerung. Die Einwohner von Massachusetts bilden da keine Ausnahme: Hier sind 51% der Wähler gegen die Reform, während die Zustimmung mit 36% genau dem bundesweiten Schnitt entspricht.
Vor einem Jahr waren die Amerikaner von ihrem neuen Präsidenten begeistert. Heute bereuen viele, ihn gewählt zu haben. Massachusetts mag der „demokratischste“ (oder im amerikanischen Politjargon „blaueste“ – die Farbe der demokratischen Partei ist blau, die der Republikaner rot) Staat sein, aber auch hier sind die Wähler angefressen. Es sieht ganz danach aus, als müssten sich die Demokraten in nächster Zeit auf eine Reihe von Wahlniederlagen einstellen.
Wie lange wird die Begeisterung für Barack Obama im Rest der Welt noch anhalten?
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