23 August 2009

Anlässlich der Freilassung des „Lockerbie-Attentäters“

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Vor kurzem wurde der vom schottischen Justizminister begnadigte so genannte „Lockerbie-Attentäter“ Abdul Bassit Ali Muhammad al-Magrahi in seiner Heimat wie ein Nationalheld empfangen, was in einigen westlichen Staaten, vor allem in den USA, für Unmut sorgt. Der Chef des FBI verstieg sich in einem Brief an den schottischen Justizminister zu der Behauptung, der Gnadenakt sei eine „Verhöhnung der Rechtsgrundsätze“, und der Empfang in Tripolis wurde mancherorts als „empörend“ und „widerlich“ bezeichnet. Es stellt sich nur die Frage, wer wen verhöhnt und was empörend und widerlich ist. Ist es das jetzige Verhalten des offiziellen Libyen oder war und ist es die Haltung der USA?

lockerbie2 Zur Erinnerung: Am 21. Dezember 1988 stürzte eine Maschine der amerikanischen Fluglinie PanAm aufgrund einer Bombenexplosion im Frachtraum in der Nähe der schottischen Ortschaft Lockerbie ab. 270 Menschen kamen dabei ums Leben. Kaum eine Stunde nach dem Absturz befand sich bereits ein Team der CIA vor Ort, um als PanAm-Mitarbeiter getarnt nach Beweismitteln zu suchen und alles Mögliche zu entfernen. Was von diesen Leuten gefunden wurde, ist bis auf den heutigen Tag nicht offiziell bekannt. So weit die Fakten.

Wer letztendlich für den Absturz der Maschine haftet, ist nicht geklärt. Ist es die Fluggesellschaft wegen mangelnder Kontrolle der Gepäckstücke auf den Flughäfen Frankfurt und Heathrow oder ist es die amerikanische Regierung wegen Duldung einer jahrelang geheim gehaltenen Drogenoperation. Auch sollen diverse amerikanische Behörden vor einem möglichen Anschlag gewarnt worden sein. Die Details sind umstritten und werden es wohl noch lange bleiben. Eine Tatsache ist jedoch unumstritten: Vor dem verheerenden Anschlag lief mindestens fünf Jahre lang eine Drogenlinie der amerikanischen Drogenfandung (DEA) oder aber der CIA über die PanAm-Verbindung Frankfurt-USA. Dabei sollen im Mannschaftsraum echte Pilotenkoffer gegen identisch aussehende Koffer voller Drogen ausgetauscht worden sein, was sich Terroristen für ihre eigenen Zwecke zu Nutzen gemacht haben sollen. Statt eines Drogenkoffers soll ein Koffer mit einer Bombe mit Fernzünder auf die Reise gegangen sein. Das deutsche Bundeskriminalamt hatte wenige Tage vor dem Anschlag 16 Angehörige einer palästinensischen Terrorgruppe festgenommen und in deren Versteck Material für den Bau von Bomben sichergestellt, dann aber alle bis auf eine Person wieder freigelassen. Der Anschlag soll von dieser Gruppe vorbereitet worden sein.

Bis auf den heutigen Tag hat die US-Regierung trotz mehrerer Präsidentenwechsel eine objektive Untersuchung des Falles unterbunden und sich beharrlich geweigert, die ihr zur Verfügung stehenden Dokumente in einem Gerichtsverfahren offen zulegen. Stattdessen hat man es vorgezogen, Libyen, den Lieblingsschurkenstaat der Präsidenten Reagan und Bush, zu bezichtigen, für das Attentat verantwortlich zu sein. Diese Behauptung stützt sich einzig auf die Zeitschaltuhr, die zur Auslösung der Explosion verwendet wurde. Sie wurde in Genf hergestellt und angeblich nur an Libyen verkauft, was sich später als unrichtig herausstellte, denn auch die Stasi war Kunde dieses Unternehmens. Der Meister der Uhrmacherwerkstätte durfte übrigens die Uhr mit eingravierter Nummer nicht in Augenschein nehmen.

Aufgrund dieser sehr dünnen Beweislage verlangten die USA und Großbritannien die Auslieferung zweier Libyer, die sie der Beteiligung an dem Terroranschlag verdächtigten. Libyen war von Anfang an bereit, die beiden Männer im eigenen Land vor Gericht zu stellen oder in ein drittes Land zu überstellen. Auf Druck der USA verhängte der UNO-Sicherheitsrat ein Embargo gegen Libyen, gegen das der nordafrikanische Staat beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag erfolgreich Klage einlegte. Der Gerichtshof entschied, dass Libyen nicht zur Auslieferung verpflichtet sei. Dennoch wurden die völkerrechtswidrigen Sanktionen aufrechterhalten. Letztendlich beugte sich Libyen der internationalen Erpressung und lieferte die beiden Männer aus, gegen die in der Folge ein dubioser Scheinprozess geführt wurde. Und obwohl beide Männer wegen derselben Delikte angeklagt wurden und gegen beide dieselben Beweismittel vorlagen, wurde einer, der bedauernswerte al-Magrahi, zu lebenslanger Haft verurteilt, während sein Kollege freigesprochen wurde, ein Umstand, der nahe legt, dass in Wahrheit beide hätten freigesprochen werden müssen. Warum ist dies nicht passiert? Damit die USA ihr Gesicht wahren und sich in ihrer Behauptung, Libyen wäre das Mutterland allen Terrors, bestätigt sehen konnten. (Übrigens wurde im Falle des Bombenanschlags auf die Berliner Diskothek „La Bella“ ganz ähnlich vorgegangen. Auch hier musste Libyen die volle Verantwortung übernehmen, obwohl äußerst fraglich ist, ob man überhaupt irgendetwas mit dem Attentat zu tun hatte.)

Der todkranke Herr al-Magrahi hat den großen Empfang in Tripolis mehr als verdient, denn es steht außer Zweifel, dass er als Bauernopfer herhalten musste, um sein Land von den UNO-Sanktionen zu befreien. Außerdem, und das dürfte viel wichtiger sein, ist er aller Wahrscheinlichkeit nach unschuldig.

Vermutlich besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Lockerbie-Attentat und dem Abschuss eines Airbus der Iran Air voller Pilger durch den amerikanischen Zerstörer Vincennes im Frühjahr 1988. Der Zerstörer hielt sich noch dazu völkerrechtswidrig in iranischen Hoheitsgewässern auf. Der Kapitän des Schiffes wurde übrigens trotz dieses „Fehlers“, der hunderte Menschenleben kostete, nicht entlassen oder vor Gericht gestellt, sondern man verlieh später sogar eine Auszeichnung (angeblich für ein verdecktes Kommandounternehmen). Wer auch immer den Anschlag auf die PanAm-Maschine ausgeführt haben mag, der Befehl dafür ist am ehesten aus Teheran gekommen.

Die Begnadigung des Mannes, den man als einzigen für den Tod der 270 Menschen an Bord des PanAm-Flugzeuges verantwortlich gemacht hat, ist keine „Verhöhnung der Rechtsgrundsätze“, sondern ein halbherziger Versuch der Wiedergutmachung des an ihm begangenen Unrechts und hoffentlich ein erster Schritt in Richtung der Aufarbeitung der wahren Hintergründe dieses Verbrechens. Herr al-Magrahi hat in den wenigen Wochen oder Monaten, die ihm, dem an Prostatakrebs Erkrankten, noch bleiben, jeden positiven Zuspruch verdient (auf jeden Fall mehr als andere, die sich selbst wissentlich in Gefahr gebracht haben, wie zum Beispiel die beiden US-Journalistinnen, die vor kurzem an der Grenze zu Nordkorea aufgegriffen wurden).


Weitere Details und Hintergrundinformationen zum Thema Lockerbie und zu anderen ähnlich mysteriösen Fällen finden sie in dem zwar schon vor einigen Jahren erschienenen, aber noch immer ziemlich aktuellen und dazu äußerst lesenswerten Buch „Im Namen des Staates“, geschrieben von Andreas von Bülow.

 

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