31 August 2009

Blätter im Wind

Bookmark and Share

 

  Durch den menschenleeren, kahlen Herbstwald wandern, wo der Nebel in den Zweigen hängt und nur Geist der Vergangenheit zu einem spricht. Wo unter dem fast schüchtern ausschreitenden Fuß die welken Blätter rascheln, ehe der Wind sie in die Lüfte wirbelt und mit sich fort trägt, wer weiß wohin. Sie sind ja schon abgetrennt von den Bäumen, die einst ihr Leben waren, sind alleingelassen, Waisen, dem Zufall anheim gegeben und dem Zerfall.

  Doch wenn sie sich zur Ruhe betten – die untersten schon dunkel und feucht wie die Erde, die oberen noch feurig rot in der verschwenderischen Pracht des Abschieds – und kein eigenes, zweckorientiertes Leben mehr haben, sind sie dennoch nicht verloren; der ewige Kreislauf nimmt sie wieder auf.

  So geht es in der Welt, da ist nichts zu beklagen. Auch wir Menschen sind nur Blätter im Wind, die, nach dem Aufbruch im Frühling und der stolzen, frohgemuten Zeit des Sommers, letztlich doch hinfort getragen werden, irgendwohin... Und wir können mit all unserem technischen Verstand an diesem Lauf nichts ändern, dem großen, großartigen Atem von Werden und Vergehen. Wir können ihn höchstens ein wenig stören, ja, das liegt in unsrer Macht.

  Zuweilen aber geschieht es, dass irgendetwas oder irgendjemand aus der Bahn geworfen wird, zur Unzeit und ohne erkennbaren Sinn; das kann verstörend sein und traurig. Ein Zweiglein, ein frisches, grünes Blatt, das abgerissen wurde, damit es dahinwelkt und der gelegentliche Wanderer es achtlos zertritt, während die anderen in vollem Saft stehen.

  Das ist nur ein bescheidenes Bild, ein Gleichnis, aber derer gibt es viele.

  Etwa die Geschichte von dem Mann, der seinen Schatten verloren hat und deshalb den Nebenmenschen verdächtig und unheimlich erscheinen muss, dieser seltsame Kerl. Auch eine Frau ohne Schatten gibt es natürlich. Das sind solche Sagen, Märchen, oder wie immer man es nennen will.

  Doch es gibt ein Gegenstück, und diese Geschichte ist keine Fabel, sondern grausame Realität. Es ist die Geschichte von einem Kerl, dem das Leben von Anfang an verpfuscht und vermasselt wurde, so dass nur noch ein Schatten von ihm übrig ist, eine leere Hülle. Und wie sich dieses Etwas verschämt unter die Leute mischt – was bleibt ihm anderes übrig? -, halten die Mitbürger, die ahnungslosen, es für Ihresgleichen, einen vollwertigen Menschen, an den man mit Fug und Recht bestimmte Ansprüche stellen kann, ja muss.

  Mir will scheinen, dass weit mehr von diesen leeren Hüllen und Schattenmenschen auf Erden wandeln, als wir uns eingestehen möchten.

- Für A.P.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Label Cloud