Mir ist wohl bewusst, dass es anlässlich eines Todesfalles üblich ist, den Dahingegangenen und seine Verdienste in höchsten Tönen zu loben. Aber was rund um den Tod des „King of Pop“ zu hören und zu lesen ist, geht denn doch zu weit.
Da wird Michael Jackson doch allen Ernstes als „größter Künstler aller Zeiten“ bezeichnet (z.B.: auf Pro7 Teletext/Musik/CD-Tipp) – eine maßlose Übertreibung seiner tatsächlichen Bedeutung und Verdienste.
Er war sicher nicht der beste Sänger aller Zeiten, nicht einmal der letzten zwanzig, dreißig Jahre, außer vielleicht, man hält „Kastratenpop“ für den höchsten aller Genüsse. Als Komponist hatte er ein Gespür für Melodien, die den Geschmack des Mainstream treffen, aber Überraschendes oder gar revolutionär Neues hat er auf diesem Gebiet nicht geleistet.
Er war, um einen Vergleich aus der klassischen Musik zu bemühen, mehr ein Salieri denn ein Mozart, also populär, erfolgreich, aber musikalisch nicht wirklich bedeutend.
Textlich eckte er nie an, politische Forderungen oder Kommentare, wie etwa bei Marvin Gaye („What´s going on“), oder sexuell „Anstößiges“, wie in vielen Hits von Prince, sind bei ihm nicht zu finden.
Auch die Behauptung, er habe dem weißen Publikum schwarze Musik näher gebracht, ist nur teilweise zutreffend. In Wahrheit war er, was das anbelangt, ein Gegenstück zu Elvis. Während Elvis als Weißer die Musik der Farbigen unter den Weißen populär machte, gelang es Michael Jackson, als Schwarzer die Weißen mit weißer Popmusik für sich zu gewinnen.
„I say it loud, I´m black and I´m proud“ war nie sein Motto. (Prince, zum Beispiel, war der schwarzen Musik stets mehr verbunden.)
Die größte Bedeutung hatte (und hat?) Michael Jackson sicher als Tänzer und Videokünstler, wobei er aber als Tänzer nicht allein auf weiter Flur war. Auch Prince (ja, man muss ihn wieder erwähnen) ist ein begnadeter Tänzer, und davor gab es Größen wie James Brown. Die Videoclips haben Michael Jackson letztendlich zu seinem Status als Popsuperstar verholfen, und in den 1980er Jahren hat er auf diesem Gebiet zweifelsohne einiges bewirkt (nicht zuletzt durch den glücklichen Umstand, dass sein „Thriller“-Album ungefähr zu der Zeit auf den Markt kam, da MTV den Betrieb aufnahm).
Aber leider wiederholte er sich in der Folge nur noch, wobei eine zunehmende Steigerung ins Gigantomanische zu bemerken war, die schließlich im bis heute teuersten Videoclip aller Zeiten („Scream“) ihren Höhepunkt erreichte. Allerdings war er nicht allein Wegbereiter und Neuerer in Sachen Musikvideos, denn zur gleichen Zeit leisteten etwa Peter Gabriel oder David Byrne Herausragendes auf dem Gebiet der Verbindung von Musik und visueller Kunst.
Ob die Verkaufszahlen allein die Bezeichnung als „größter Künstler aller Zeiten“ rechtfertigen, sei dahin gestellt, zumal er nur drei Alben veröffentlichte, die sich bis auf den heutigen Tag wirklich gut verkauft haben, nämlich „Thriller“ (ca. 50 Mill. Einheiten, wobei am Rande erwähnt sei, dass dieses Album nicht aufgrund der Musik, sondern in erster Linie aufgrund der Videos so erfolgreich wurde), „Dangerous“ (26 Mill.) und „Bad“ (ca. 25 Mill.). Die beiden letzten Alben haben sich hingegen bis jetzt kaum verkauft, und auch nach seinem Tod scheint man lieber zu seinen Klassikern zu greifen.
Michael Jackson war sicher nicht der größte Künstler aller Zeiten, denn da gibt es Giganten wie Michelangelo, Beethoven, Bach, etc., die ihn an Bedeutung weit überragen. Er war mit Sicherheit nicht einmal der größte Künstler und Star in der modernen Populärmusik, dies Ehre gebührt Elvis Presley, der das Glück hatte, als Erster und zugleich Letzter von allen jungen Musikfans anerkannt zu werden. Bekanntlich hat sich schon in den 1960er Jahren die Musikszene in unterschiedliche Richtungen aufgespaltet (Schlagwort „Beatles oder Rolling Stones“), so dass niemandem mehr universelle Anerkennung zuteil wurde beziehungsweise werden konnte.
Michael Jackson war nicht mehr und nicht weniger als einer der zwei oder drei wichtigsten Popstars (und wahrscheinlich der erfolgreichste) in der Zeit von 1980 bis 1992/93. Diese Ära der Synthesizer, knallbunten übergroßen Sakkos und toupierten Haare prägte er wie kaum ein Zweiter, doch ihn deshalb zur Ikone der Popmusik zu stilisieren erscheint doch übertrieben. Musik und Tanz haben sich weiterentwickelt, er aber nicht – und das hat ihn schlussendlich den Thron gekostet.
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